
Warum sollten Unternehmen nicht nur aus Marketinggründen, sondern auch aus gesellschaftlicher Verantwortung heraus zu aktuellen Themen Stellung beziehen? Und wie behalten Unternehmen hierbei einen stabilen, authentischen Kurs in ihrer Kommunikation? Darüber spreche ich mit Journalist und Kommunikationsexperte Harald Ehren.
Du hast Erfahrungen bei Großunternehmen, bei Start-ups, auf Agenturseite und bei verschiedenen Medien gesammelt. Welche Erkenntnis nimmst du mit deinem Rundumblick aus der Coronakrise mit?
Harald Ehren: Bis vor Corona hatte ich das Gefühl, dass die etablierten Unternehmen dachten, sie müssten wie Start-ups ticken, damit sie nicht verschlafen wirken. Ich denke da an so Themen wie Purpose, agiles Arbeiten und Employer Branding, bei denen sich diese Unternehmen gegenüber der Start-up-Szene teilweise im Rechtfertigungsmodus fühlten. Das hat sich jetzt geändert, weil man in solch einer Krise merkt, dass die Grundlagen vieler Start-ups sehr fragil sind. Diese Fragilität hat natürlich auch Vorteile: Start-ups sind wendiger und können je nach Wind schneller die Segel anders setzen. Einen großen Dampfer wie einen Konzern kann man hingegen nicht so einfach stoppen oder auf einen anderen Kurs bringen. Aber was man nicht vergessen darf: So ein großes Schiff ist top ausgestattet und nicht so arg von wechselnden Windrichtungen abhängig. Es hat sehr gute Navigationssysteme und einen Antrieb, der nicht so schnell den Geist aufgibt. Auch auf hoher See bietet ein großer Dampfer Stabilität. Man wird auch mal seekrank, aber kentert nicht so schnell.
Wenn wir das Thema „Unternehmenskommunikation“ in den Fokus nehmen: Was können Unternehmen – unabhängig von ihrer Größe – für einen stabilen Kurs tun?
Harald Ehren: Sich fragen: Wer oder was sind wir eigentlich? Sind wir einfach nur ein Unternehmen von vielen? Einfach nur ein weiteres Start-up, technologisches Produkt oder eine nächste beliebige Dienstleistung? Nein, wir sind etwas Einzigartiges. Das macht unseren Markenkern aus. Das unterscheidet uns. Daran sind wir erkennbar. Physikalisch gesehen sind Markenkerne unzerstörbar. Sie ruhen in sich selbst und sind Grundlage für die Marke des Unternehmens. Eine Marke ist ein Medium. Eine Marke sendet Botschaften aus. Aber nicht nur schöne, bunte Markenbotschaften, sondern im besten Fall auch gesellschaftspolitisch relevante Botschaften. Und diese Botschaften dürfen nicht vom Markenkern getrennt werden. Es müssen authentische Botschaften sein. Dafür bedarf es natürlich strategischer Linien, damit es kein babylonisches Sprachgewirr wird, sondern man merkt, wofür ein Unternehmen, eine Marke, steht. Das sorgt für einen stabilen und authentischen Kurs in der Unternehmenskommunikation.
Was heißt für dich „authentisch“?
Harald Ehren: Authentizität hat immer sehr viel zu tun mit eigener Überzeugung, mit Beständigkeit, mit Wissen, mit Erfahrung, aber eben nicht mit Bräsigkeit. Also nicht im Sessel zurücklehnen und sagen: „So bin ich halt.“ Sondern: „Ich lebe für eine Marke, für einen Anspruch und ich will auch andere davon überzeugen.“ Authentizität ist meines Erachtens verbunden mit einer Message. Viele Marken machen das sehr gut, andere haben vielleicht noch nicht zu ihrer authentischen Botschaft gefunden. Doch das ist das Allerwichtigste für Unternehmen – egal ob Start-up, Mittelstand oder Konzern.
Wie kann dies in der Praxis aussehen? Harald Ehren: Man hat als Unternehmen eine Idee, eine Storyline, einen roten Faden und entlang dessen spielt sich eine Geschichte ab. Nehmen wir als Beispiel Sixt. Das Unternehmen Sixt kennt jeder durch dessen Design mit seinen prägnanten Farben aber auch durch dessen sich gesellschaftlich einbringende Kommunikation. Seit 20 bis 30 Jahren will Sixt anecken immer am Rande der Political Correctness. Das Unternehmen greift Themen auf, die eigentlich überhaupt nichts mit ihnen zu tun haben. Bekannt ist das Anzeigenmotiv mit Angela Merkel im Cabrio mit Anspielung auf ihre damals in der Gesellschaft stark diskutierte Frisur. Und bezogen auf Lafontaines frühen Rückzug aus dem frisch ernannten Regierungskabinett veröffentlichte Sixt kurzfristig die Anzeigenbotschaft „Sixt verleast auch Autos für Mitarbeiter in Probezeit“. Was hat ein Mietwagen mit einem Ministerposten zu tun? Sixt lebt das Motto: Wir reagieren auf alles, was wir erleben. Immer mit einem Augenzwinkern, ein bisschen provokativ und gerne kontrovers. Andere Unternehmen gehen inhaltlich einen anderen Weg. Doch grundsätzlich gilt: Es reicht aus meiner Sicht nicht mehr, nur noch zu informieren und fantastische Imagekampagnen zu fahren. Unternehmen müssen in die Gesellschaft reingehen und diese idealerweise mitgestalten. Das machen viele Unternehmen nicht. War auch bisher nicht in der Unternehmenskommunikation angedacht. Doch in dieser Gesellschaft, wo alle mitreden dürfen, da dürfen Unternehmen nicht am Rand stehen. Im von mir plädierten Idealfall geht ein Unternehmen sogar noch einen Schritt weiter und redet nicht nur mit, sondern engagiert sich wirklich zu Themen, die zum Markenkern, die zur Markenidentität passen. Also Themen, die etwas mit dem Unternehmen inhaltlich zu tun haben.
Warum ist es für die Gesellschaft wichtig, dass sich gerade Unternehmen in aktuelle Themen einbringen?
Harald Ehren: Ich denke an den Philosophen Andreas Reckwitz. Er beschreibt, wie die Gesellschaft in Singularitäten zerfällt. Es gibt nicht mehr die eine Gesellschaft, sondern mehrere Blasen. Ich denke, es ist wichtig, dass sich Unternehmen nicht selbst durch Einkapseln und Schutzschirme zu Singularitäten entwickeln. Gerade jetzt, wenn sich in der Gesellschaft Blasen bilden, sollten Unternehmen verbindende Elemente sein.
Wie können Unternehmen der Rolle eines verbindenden Elements gerecht werden?
Harald Ehren: Ein Unternehmen trägt in unserer Gesellschaft eine Verantwortung. Verantwortung für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten, Umwelt. Und aus dieser Verantwortung heraus können und müssen Unternehmen auf Gesellschaftsthemen reagieren und kommunizieren. Derzeit ist die allerbeste Phase, um die eigenen Assets, also die Unternehmens-DNA, herauszustellen. Trotz aller Widrigkeiten durch Corona ist es doch eine Zeit, in der man seine wahren Stärken, also den Kern, erkennen kann. Weil alles nicht mehr nach Plan läuft, ergibt sich die Möglichkeit, nicht mehr nach Plan, sondern echt, ursprünglich, mit den wahren Unternehmenswerten zu präsentieren. Die Menschen spüren das.
Was wird die Unternehmen weiterhin in Zukunft beschäftigen, was strategische Kommunikation angeht?
Harald Ehren: Ich habe drei Aspekte als Dreieck vor Augen (siehe Bild unten). Neben dem bereits beschriebenen Bereich der Kommunikation kommen noch die Aspekte Employer Branding und Innovationen hinzu. Beim Employer Branding müssen sich Unternehmen fragen: Wie kann ich Menschen motivieren, in meinem Unternehmen zu arbeiten? Wie kann ich tolle, neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter finden? Welche, die zu uns passen? Wer macht bei uns mit? Und wie schaffe ich es als Unternehmen, wirklich einzigartige Menschen zu finden? Man will ja keine Soldaten haben. Sondern jedem Einzelnen sagen: Tritt hervor und mach dein Ding! Die Herausforderung ist, solche Menschen überhaupt zu finden, aber es auch im Unternehmen auszuhalten, wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre eigene Meinung vertreten. Dafür muss ein Kulturwandel stattfinden. Das hat auch etwas mit New Work zu tun. Der zweite Aspekt, die Innovationen, wird bereits seit vielen Jahren als Disruptionsfaktor gehandelt. Nach dem Motto: Wenn ich als Unternehmen bei der Technologie einen Vorsprung habe, werde ich auch meine Mitbewerber überflügeln. Aber so läuft Disruption nicht mehr. Nur, wer wirklich was Neues präsentieren kann, wird reüssieren. Corona hat die Firmen zum Nachdenken gebracht, dass es nicht nur darum geht, in Innovationen zu investieren, sondern sich wirklich Gedanken zu machen, welche davon brauche ich? Da hat es viele Unternehmen kalt erwischt, weil sie ihre ganze Energie da reingesteckt haben, technisch besser zu sein. Und es wird sie wieder kalt erwischen, wenn sie nicht dranbleiben, Innovation immer auch als neues Denken zu verstehen. Ich orientiere mich dabei neuerdings an der Meinung des Stanford-Professors Ulrich Gumbrecht in seinem jüngsten Buch „Brüchige Gegenwart“: Die wichtigen Fragen sind die, denen man ausweicht.
Vielen Dank für das Interview!


Als Journalist hat Harald Ehren in unterschiedlichen Positionen Pionierarbeit geleistet: zur Jahrtausendwende bei der Financial Times Deutschland, als es darum ging den Online-Journalismus zu etablieren. Oder später bei der Agenturgruppe fischerAppelt mit dem neuartigen Konzept des Aufbaus einer eigenen Redaktion mit den Ansprüchen einer Tageszeitung. Durch weitere Stationen als Chefredakteur und Dozent und in der Wirtschaft bei der Sixt AG und dem Start-up LIQID Investments kann er die Themen Marken und Corporate Publishing aus mehreren Perspektiven betrachten. Links zu Harald Ehren: XING und LinkedIn
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2. Bild: Foto by Dierk Kruse (DVZ) mit freundlicher Genehmigung durch den Interviewpartner