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HR als Impulsgeber für Führungskräfte

Autorenbild: Niki SlawinskiNiki Slawinski


Human Resources (HR) als Impulsgeber für Führungskräfte mit wichtigen Kommunikationsaufgaben: Wie kann dies in der Praxis aussehen? Und wie lässt sich die „selbsterfüllende Prophezeiung“ bei der Personalsuche umkehren? Wirtschaftspsychologe Pedro da Costa Palmeira gibt Einblicke.

Inwieweit beeinflusste die Corona-Pandemie und der damit verbundene Lockdown die Themen in der HR-Welt?

Pedro da Costa Palmeira: Neben dem ständigen Prio-1-Thema der qualifizierten Mitarbeitergewinnung kam durch Corona nun ein Prio-2-Thema hoch, das zwar viel gehypt, aber dennoch von zu vielen Unternehmen wegpriorisiert wird: die Digitalisierung und damit verbunden auch das Infragestellen von veralteten Prozessen und Strukturen. Doch in solch einer Krise holen dich diese Themen ein und erzwingen schlichtweg die Weiterentwicklung. Nehmen wir beispielsweise Unternehmen, die in dieser Krise Kurzarbeit einführten. Es wäre doch schade, wenn alle einfach nur resignieren und nicht infrage stellen, was für Chancen sich daraus ergeben.


Was wäre das alternative Vorgehen?

Pedro da Costa Palmeira: Zu analysieren, was in dieser Zeit anders lief als zuvor oder weiterlief, obwohl wir alles anders machten. Welche kausalen Zusammenhänge, die teilweise erst zeitversetzt sichtbar werden, gibt es? Von welchen Dogmen können wir uns lösen und auf welche neuen Ideen können wir uns einlassen? Zum Beispiel könnten wir in so einer Situation evaluieren, wer auch nach der Krise seinen Beschäftigungsgrad dauerhaft reduzieren kann, damit glücklicher ist und gleichzeitig seine Stellenausschreibung sowie Zielvorgaben erfüllt. Es wäre schade, wenn alle einfach wieder zur Normalität zurückkehren, ohne die Chance zu nutzen, sich nachhaltig zu optimieren. Nehmen wir ein weiteres stark unterschätztes, aber nicht weniger emotionales Thema: der Arbeitsplatz im räumlichen Sinne. Jeder hat ein Bild davon, wie sein idealer Arbeitsplatz auszusehen hat. Und auch wenn ich hier nicht allen Branchen und Jobs gerecht werde, lösen wir uns einmal davon. Wie viele klassische Büromitarbeiter benötigen ihre festen Arbeitsplätze, Schreibtische und Einzelbüros wirklich? Die krisenbedingten, erzwungenen Veränderungen unseres privaten und beruflichen Alltags öffnen viele neue Wege der Arbeitsgestaltung und -optimierung. Wir müssen die Chance nutzen und genau solche banalen Dinge hinterfragen. Tun wir dies, sind wir keineswegs abstrakt, sondern bewegen uns auf einer sehr operativen Ebene und realisieren womöglich, dass die physische Präsenz ziemlich losgelöst von operativer Präsenz und Effizienz ist. Nicht anders funktioniert es in den meisten Universitäten und Hochschulen, wo Studierende trotz fest verankerter Präsenz- und Pflichtveranstaltungen selbst entscheiden, wo sie ihre Ziele am besten erreichen. Mal ist es der Hörsaal, mal die Bibliothek und mal auch die Mensa-Kantine.

Wie kann ich Menschen abholen, die Arbeit und zu Hause trennen möchten?

Pedro da Costa Palmeira: Unternehmen sollten immer, wenn sie es können, weder die Vorgabe „flächendeckendes Homeoffice“ noch „Alle müssen herkommen“ aussprechen. Menschen sind unfassbar individuell und haben privat wie beruflich ganz eigene Bedürfnisse. Warum sollten sie also nicht selbst entscheiden, wo oder wie sie arbeiten? Ich persönlich habe erfahren, dass Mitarbeiter, die ein höheres Maß an Entscheidungsfreiraum haben, auch gewillt sind, mehr Verantwortung zu übernehmen und Engagement aufzubringen. Damit dies auch im unternehmerischen Sinne zielführend ist, muss es jedoch klare Zielvorgaben und Rahmenbedingungen geben. Besprich mit deinen Mitarbeitern, was es für sie zu erreichen gilt, und überlasse ihnen die Entscheidung, wie oder wo sie arbeiten. Darüber hinaus sollten Unternehmen deutlich mehr Energie in die Gestaltung sozialer Berührungspunkte und Begegnung investieren. Ansonsten läufst du Gefahr, negative oder überhaupt keine Kultur und Identifikationspunkte zu schaffen. Hierbei spielt HR eine bedeutende Rolle und kann als unparteiischer Akteur moderieren, aber auch wichtige Impulse geben.

Wie kann die HR-Abteilung ihrer Rolle als Impulsgeber gerecht werden?

Pedro da Costa Palmeira: Vorweg ist wichtig zu wissen: Personalmanagement ist heute deutlich komplexer als früher. HR war lange Zeit eine rein verwaltende Abteilung im Betrieb, ohne jegliches Mitspracherecht und jegliche anderen Budgets als das für anfallende Portokosten. Heute ist es viel mehr als nur Lohnabrechnung und Aktenverwaltung. Menschen wollen in ihrem Job glücklich sein, und Unternehmen haben mittlerweile erkannt, dass sich das auch nachhaltig für alle lohnt. Um dieser abstrakten Vorstellung aber gerecht zu werden, brauchst du ab einer bestimmten Unternehmensgröße einfach eine sehr gut aufgestellte Personalabteilung, mit reellen Spezialisten für die sehr komplexen HR-Themen wie etwa: Employer Branding, Recruiting, Personalführung, -training, Mitarbeiterbindung – um nur einige zu nennen. Dennoch ist HR in der allgemeinen Wahrnehmung eine Art Führungskraft der Führungskräfte. Und wie jede Führungskraft sollte auch HR Impulse geben, inspirieren, Prio-2-Themen immer wieder vorrücken und sie im Alltagsgeschäft nicht untergehen lassen. Ich gehe sogar einen Schritt weiter und behaupte: HR ist die wichtigste Führungskraft im Unternehmen. Leider jedoch wird HR in den meisten Unternehmensstrukturen nicht hinreichend befähigt oder von nicht ausreichend qualifizierten Personen besetzt.


Wie kann es in der Praxis aussehen, dass sich HR als Impulsgeber einbringt?

Pedro da Costa Palmeira: Nehmen wir das Thema Einstellen von neuen Mitarbeitern. Der Hiring Manager oder sogar mehrere Mitglieder des Ziel-Teams sollten so stark involviert sein, dass sie den Prozess von der Anforderungsanalyse über die Einstellungsinterviews, die Einstellungsentscheidung bis hin zur nachträglichen Evaluation – zum Beispiel in der Probezeit – mitbegleiten. So hast du mehrere positive Effekte: Die „Fachexperten“ helfen der HR-Abteilung, Fachliches auch richtig zu evaluieren. Sie lernen, den gesamten Einstellungsprozess nach objektiven Kriterien zu begleiten, und werden an den Entscheidungen und Evaluationen beteiligt. Das sorgt am Ende dafür, dass sie sich bei der Einarbeitung neuen Personals auch engagiert reinhängen. Involvierst du die Akteure aus den Fachabteilungen nicht, nimmt der Fachbereich sich zurecht das Recht der Skepsis heraus: „Mal schauen, ob sie diesmal den richtigen eingestellt haben.“ „Können sie die Anforderungskriterien überhaupt hinreichend prüfen?“ Und beim geringsten Zweifel kommt die Kritik: „Diese Person ist nicht die richtige. Hätten die mich mal von vornherein gefragt.“ Unter Psychologen sprechen wir hier von der sich selbsterfüllenden Prophezeiung – „self-fulfilling prophecy“. Dabei kannst du dies durch die frühzeitige Einbindung von wenigen, aber wichtigen Stakeholdern leicht umkehren und einen enormen Mehrwert erzielen.

Wie genau lässt sich die selbsterfüllende Prophezeiung bei diesem Beispiel umkehren?

Pedro da Costa Palmeira: Involviere die wichtigsten Akteure frühzeitig. Zeige Ihnen auf, dass sie im Prozess einen wichtigen Beitrag leisten, und höre auf ihre fachliche Expertise, wenn sie einen Job und die dafür notwendigen Eigenschaften beschreiben. Denn das tun sie nun mal besser als Personalmanager und Recruiter. Zudem entsteht eine kollektive Verantwortungsübernahme aller Beteiligten, die sich dann individuell mit den Entscheidungen identifizieren und von Anfang an härter daran arbeiten, um die getroffenen Entscheidungen erfolgreich werden zu lassen. Genau hier entwickelt die selbsterfüllende Prophezeiung einen positiven Effekt. Übersieht HR an dieser Stelle ihre eigene Führungsverantwortung nicht, macht sie aus Statisten wichtige Akteure, die kollektiv die besseren Personalentscheidungen treffen.

Was passiert, wenn die Fachleute für die neuen Aufgaben der HR-Abteilung fehlen?

Pedro da Costa Palmeira: Und genau das ist der Fall. In den meisten deutschen Personalabteilungen fehlen noch immer qualifizierte Mitarbeiter. Auch hier tue ich sicherlich vielen Kollegen unrecht, aber historisch sind Personalabteilungen nun mal die Auffangbecken vieler gescheiterter Berufsbilder. Von Lehramts- bis Jura-Abbrechern bekleiden zu viele Menschen HR-Positionen, für die sie schlichtweg nicht ausreichend ausgebildet sind. Ein trivialer Vergleich: Würdest du dich von einem Elektriker an der Nasenscheidewand operieren lassen? Ich nicht. Warum lassen also so viele Unternehmen nicht ausreichend qualifizierte Mitarbeiter ihr wichtigstes Gut managen? Es gibt heute für alles Expertinnen und Experten – so auch in der HR. Nur mal eben einen HR-Trend mit gefährlichem Halbwissen aufzugreifen, reicht nicht und kann im Zweifel Unternehmen nachhaltig schädigen.


Apropos HR-Trends: Von welcher Methode hältst du viel, wenn es darum geht, die richtige Person für eine bestimmte Stelle zu finden?


Pedro da Costa Palmeira: Es gibt nicht die eine richtige Methode. Doch sicherlich ist die Methode der kritischen Ereignisse nach Flanagan, auch „Critical Incident Technique“ – oder kurz CIT – genannt, ein erster sinnvoller Ansatz. Diese Methode ist ziemlich flexibel und hilft schnell, fundierte Anforderungsanalysen zu erstellen. Darauf setze ich mittlerweile all meine Auswahlverfahren und sogar Stellenausschreibungen auf. Um dir einen schnellen Überblick darüber zu geben, was da passiert: Pro Stelle werden mehrere Stakeholder dazu interviewt, welche kritischen Situationen in einer bestimmten Rolle im Job auftauchen können, und welche Verhaltenseigenschaften positiven oder negativen Einfluss darauf haben. Diese Informationen fließen dann in standardisierte Assessments ein, können nachgestellt werden oder mittels Tests und Fragebögen den geeigneten Kandidaten rausfiltern. Besonders wichtig sind aber die Standardisierung und die Gütekriterien der Verfahren als solche. Diese müssen auf konkreten Verhaltensankern basieren, bei allen Bewerbern identisch getestet werden. Auch die Beobachter müssen hinreichend geschult werden. Ansonsten ist ein Vergleich unter mehreren Bewerbern gar nicht möglich oder aber die Beobachter unterliegen zu vielen „Biases“, also kognitiven Verzerrungen, die von den wesentlichen Eigenschaften ablenken.

Und an dieser Stelle wird erneut deutlich, wie wichtig qualifizierte Personaler sind, die solche Methoden nicht nur kennen, entwickeln und durchführen können, sondern ausgebildet sind, auch solche Verfahren und Instrumente zu identifizieren, die schädlich sind.

Du hast einige Zeit bei einem deutschen Start-up in San Francisco gearbeitet. Welche Impulse hast du von dort mitgenommen?

Pedro da Costa Palmeira: Shop.co und San Francisco waren mit Abstand die verrückteste Zeit meiner Karriere. Aber kurz gesagt, ich habe unfassbar viel gelernt. Allein schon deshalb, weil wir ein Haufen junger Leute waren, die sich etwas getraut haben und extrem motiviert waren. Wir kamen fast alle frisch von der Uni. Einige hatten ein wenig Erfahrung in großen Konzernen gesammelt. Aber eine weitere Gemeinsamkeit war, dass wir unbedingt beweisen wollten, dass wir es besser können. Fazit: Wir haben viele Fehler gemacht, schnell daraus gelernt und hatten mit dem Exit an Klarna am Ende ein Happy End, das für sich spricht. Wenn du mich also fragst, was mein größtes Learning war? Mach Fehler, lerne schnell aus ihnen und wiederhole sie nicht. Das ist übrigens auch der große Unterschied zwischen deutscher und US-amerikanischer Kultur. Letztere leben diese Fehlerkultur mit Stolz, während die anderen so sehr darauf bedacht sind, keine Fehler zu machen, dass ihnen gleichzeitig große Chancen entgehen.

Vielen Dank für das Interview!


Pedro da Costa Palmeira studierte Wirtschaftspsychologie in Osnabrück und Bologna, arbeitete als wissenschaftlicher Mitarbeiter mit Professor Uwe P. Kanning und absolvierte erfolgreich Stationen in Unternehmen wie Hugo Boss und BASF. Zuletzt war er Head of HR bei dem deutschen Start-up Shop.co in San Francisco. Seit 2017 ist er Head of HR und Mitglied der Geschäftsführung bei der mensemedia Gesellschaft für Neue Medien mbH sowie selbstständiger HR-Berater für einige der DAX-30-Unternehmen.



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Der Austausch mit Ihnen und meinen Interviewpartnern gehört für mich zu meinem Prinzip der Ideen- und Strategie-Entwicklung: Input erzeugt Output. Entdecken, erforschen, reflektieren und dann selbst entwickeln.

Mehr über mein Vorgehen: > Beratung


Bildquellen

2. Bild: Foto by Pedro da Costa Palmeira


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